DER AMATEUR
DER AMATEUR
IM ZEITALTER TECHNISCHER PRODUZIERBARKEIT
Der Amateur ist ein Liebender; das, was er macht, macht er nicht, um daraus einen finanziellen Gewinn zu erzielen, sondern weil er an seiner Tätigkeit und vielleicht auch an dem Resultat seiner Tätigkeit Gefallen findet. Ein Liebender: Das setzt voraus, dass es einen gibt, der liebt, dass sich die Liebe auf etwas bezieht und dass die Liebe vollzogen wird. Andernfalls würde man von einem Schwärmer sprechen. Die Liebe ist ein Akt der Individualisierung. In der Liebe erfährt man den anderen wie sich selbst. Die Liebe gebiert das Individuum. Die Sprache der Liebe, auch wenn sie auf der ganzen Welt die gleiche sein sollte, ist individuell und entbehrt folglich einer präfigurierten Struktur. Der Amateur ist in seinem Handeln strukturlos.
Der Dilettant ist einer, der dem Professionellen ähnlich sein will. Der Dilettant versucht, es dem Professionellen gleich zu tun: er zieht sich an wie dieser, er redet wie dieser, er arbeitet wie dieser. Der Dilettant schaut sich vom Professionellen dessen Struktur ab. Denn der Professionelle hat in seinem Handeln eine Struktur: sie ist erlernt, wird angewendet und verfeinert sich im Lauf der Zeit. Indem der Dilettant darum bemüht ist, die Struktur des Professionellen zu übernehmen, versucht er ein anderer zu werden. Der Dilettant muss das, was er macht, nicht lieben, er muss die Struktur beachten.
Da das Wesen des Dilettantismus in der Nachahmung von Strukturen besteht, gibt sich der Dilettantismus im eigentlichen Sinne als Struktur zu erkennen. Auf Struktur gegründet zu sein, ist auch ein wesentliches Merkmal der Kunst der klassischen Moderne, die den Zeitgeist der Industrialisierung bejahte und ihm ein Gesicht gab. Die Industrialisierung hatte die Gesellschaft einem fundamentalen Wandel unterworfen, indem sie dieser eine Struktur von bislang unbekanntem Ausmaß aufzwang. Die Arbeitsabläufe wurden zergliedert, der individuelle Rhythmus einer übergeordneten Taktung angeglichen, an dessen Ende eine Produkt stand. Die klassische Moderne entsprach diesem Ideal, indem sie die Bestandteile ihres Handlungsgegenstandes analysierte. Dagegen die Struktur per se zu thematisieren, scheint das eigentliche Interesse der Postmoderne zu sein. In der Postmoderne wird die Struktur zum Gegenstand der Untersuchung, das Zitat vom Zitierten gelöst und als eigenständiges Objekt in einen neuen Zusammenhang gestellt. In der Postmoderne thematisiert die Kunst sich selbst. Die Strukturen des Alltags stehen nicht länger im Mittelpunkt, stattdessen die Struktur der Struktur (des Handelns). Der Künstler macht sich zum Dilettanten, indem er in der Struktur und nicht im Gegenstand seinen Inhalt sucht.
Im Gegensatz zum Dilettanten, dessen Handeln aufgrund der strukturellen Bedingtheit Anerkennung erzielen kann, ist dem Amateur im besten Fall eine Empathie gewiss, da sein Handeln, emotional gelenkt, einem anderen Handeln zwar ähnlich sein kann, aber niemals eine Struktur aufweisen wird, die in irgendeiner Form bewertbar wäre.
Das Zeitalter des Dilettantismus hat sich überlebt, da die Technik dem Menschen immer mehr die Verantwortung abnimmt, eine Sache von Grund auf zu erfassen, sie zu beherrschen. Die technischen Mittel sind in einer Weise zur Perfektion und Anwendbarkeit gereift, dass es des Menschen nur noch bedarf, um ein beliebiges Produkt herzustellen. Dieser Prozess ist dem ursprünglichen Arbeitsablauf entgegengesetzt, als der Mensch noch nach technischen Möglichkeiten suchte, um seine Ideen in Form von Produkten zu materialisieren. Aufgrund dieser Veränderung, die diametraler nicht sein könnte, kann der heutige Mensch in vielen Bereichen seinen Neigungen nachgehen, ohne ein tieferes Verständnis für die immanenten Strukturen der Produktion haben zu müssen. Mit der zunehmenden Simplifizierung und gleichzeitigen Demokratisierung der technischen (Hilfs-) Mittel gerät der Dilettant immer mehr in den Hintergrund, während der Amateur gerade beginnt, seinen Siegeszug anzutreten.
Hinter der Entwicklung, weg vom Dilettanten, hin zum Amateur, steht ein gesellschaftliches Phänomen, das wiederum eine konsequente Weiterentwicklung einer zunehmend auf individuellen Idealen beruhenden Gesellschaftsform ist: der Einzelne tritt in den Vordergrund - die Struktur löst sich auf. Wir sind im Zeitalter des Individualismus angekommen. Es gilt hierauf zu reagieren wie die klassische Moderne auf die zunehmende Strukturalisierung der Gesellschaft und der daraus resultierenden Veränderungen reagierte. Es gilt den Blick auf das Einzelne zu richten und in der Vielfalt die Schönheit des Ganzen zu suchen. Es gilt ein Amateur zu werden.
2013
ARAT
ALESCHABIRKENHOLZ
BY