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BILLBOARD  # 2

2012

das rauschen der bilder

Die meisten Erinnerungen werden wohl in Bildern gespeichert – sei es in Bildsequenzen oder einfach nur in Bildern. Die Bilder dienen dazu, eine Situation, ein Erlebnis, ein Ereignis wieder lebendig werden zu lassen. Die Bilder der Erinnerung sind die Bilder unserer Existenz. Ohne Erinnerung, ohne Bilder würden wir von unserer Existenz nichts wissen.

Mit der Erfindung der Fotografie scheint die Verlaufsstruktur unserer Existenz immer dichter geworden zu sein. Jeder Aspekt unserer Existenz kann nun dem kollektiven Gedächtnis hinzugefügt und ihm entnommen werden. Es gibt keine weißen Flecken mehr, keine Leerstelen in unserer Vergangenheit.

Mit der Menge der Bilder, die jeden Tag entstehen, scheint meine Existenz immer deutlicher zu werden. Und gleichzeitig verstellen all diese Bilder mir zunehmend den Sinn dafür, was meine Existenz wirklich sein lässt. Die Bilder rauschen nur noch so vor meinen Augen. Sie werden zu einem Rauschen, in dem meine Existenz zunehmend an Form verliert.

Franz Dobler las gerade aus seinem Buch, das er wahrscheinlich vor gut zehn Jahren geschrieben hatte. Der Raum in der Akademiegalerie im U-Bahn-Sperrengeschoss war für Veranstaltungen dieser Art außergewöhnlich gut besucht, weshalb die Luft schwül und stickig war. Ich bin etwas zu spät gekommen, die Lesung in der Ausstellung von Gabi Blum hatte pünktlich um acht begonnen, was genau die Uhrzeit ist, zu der ich eigentlich zu Abend esse.

Ich hatte mich in den Eingang gestellt, teils weil sich mir keine Sitzgelegenheit bot, teils weil die Luft zu stickig war. Ich hörte der monotonen Stimme zu, die eine Geschichte aus dem Mittleren Westen der USA vortrug. In ihren ruhigen Rhythmus mischten sich vereinzelte Lacher und ein unbestimmtes Rauschen, das in regelmäßigen Abständen an mein rechtes Ohr drang. Ich drehte mich um und sah eine riesige Werbetafel, die hell erleuchtet alle 15 Sekunden das Bild wechselte: Das eine Bild erscheint, während das andere Bild aufgerollt wird, von Oben nach Unten, von Unten nach Oben, begleitet von einem einförmigen Rauschen.

In DAS RAUSCHEN DER BILDER habe ich Werbeflächen fotografiert, die rückseitig beleuchtet sind und in starren Intervallen die Werbebilder wechseln, indem sich der Bildträger mal abspult, mal aufspult. Im monotonen Rhythmus wechseln die strahlenden Bilder, die dem Passanten eine Welt zeigen, nach der er sich sehnen soll. Trotz ihres marktschreierischen Charakters haben diese Werbeflächen etwas romantisches an sich – sie funktionieren ganz analog. Fast wie Relikte einer vergangenen Zeit müssen sie den Moment überbrücken, in dem das eine Bild zum anderen wechselt. Der Bildwechsel ist analog, er braucht Zeit. Es ist genau diese Zeit, die die Belichtungsdauer in DAS RAUSCHEN DER BILDER bestimmt hat. Immer wenn von einem Bild zum anderen gewechselt wurde, habe ich den Auslöser betätigt. Die Fotografie ist genau so lange belichtet, wie der Wechsel der Bilder gedauert hat, wie das akustische Rauschen der Rollwand zu hören war.

ARAT

ALESCHABIRKENHOLZ

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